Negativzinsen und eine hohe Inflationsrate – Ist Sparen überhaupt noch zeitgemäß? Ein Gespräch mit Norbert Neumeier über ein Thema, das die meisten meiden: Geld
Sodbrennen, Schlafstörungen, Steuererklärung: Es gibt Dinge, über die spricht man nicht gerne. Auch Geld ist ein Tabuthema – obwohl man sich regelmäßig deswegen Gedanken macht. Drehen wir den Spieß um, reden wir über Bares. Mit einem, der sich auskennt. Der 58-jährige Miltacher Norbert Neumeier hat jahrzehntelang bei einer Bank gearbeitet und sich mittlerweile als Vermögensberater selbstständig gemacht.
„Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not“: Dieser Spruch gehört der Vergangenheit an. Ebenso wie Zinsen für Sparbücher, -konten und -briefe. Wann hat sich das eigentlich geändert?
Norbert Neumeier: Die entscheidende Zäsur kam 2008 mit der Finanzkrise. In den USA platzte die Immobilienblase, die Banken bekamen ihr investiertes Geld nicht mehr zurück, eine Bank nach der anderen geriet in Schieflage. Als die Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz anmeldete, drohte die Krise weltweit überzuschwappen. Und dann?
Neumeier: Es drohte auch bei uns ein Bank-Run. Es gab Grund zur Sorge, dass jeder sein Konto leerräumt, aus Angst, es bei einer Bankenpleite zu verlieren – und genau dieses Verhalten hätte dann die Banken in den Ruin getrieben. (...) Unsere Politiker haben damals einen tollen Job gemacht. Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, als Angela Merkel und der damalige Finanzminister Peer Steinbrück an die Bevölkerung appelliert haben, auf das Finanzsystem zu vertrauen. Gott sei Dank hat es funktioniert, sonst wären wir in eine Krise geschlittert, die Ausmaße wie die von 1929 gehabt hätte.
Seitdem gehören Zinsen der Vergangenheit an?
Neumeier: Bis 2008 war die Zinswelt in Ordnung. Auf den Zusammenbruch reagierte die Europäische Zentralbank (EZB) dann mit Zinssenkungen.
Warum?
Neumeier: Die Finanzkrise ging in eine Wirtschaftskrise über. Ähnlich wie bei der Corona-Pandemie hatten viele Betriebe Kurzarbeit und scheuten Investitionen. Um den Motor der Wirtschaft anzukurbeln, senkte die EZB die Zinsen. Denn: Wer für Erspartes keine Zinsen bekommt, schafft sich dafür etwas an. Gleichzeitig sinken die Zinsen für Kredite, das motiviert zusätzlich, Eigentum zu erwerben.
Nun haben wir 2021 – nach wie vor sind Zinsen Fehlanzeige.
Neumeier: Das weltweite Finanzsystem blieb auch nach 2008 fragil. Das Geld, das für die Rettung von Banken ausgegeben wurde – in Deutschland beispielsweise die Hypo Real Estate oder die Commerzbank –, belastete alle Euroländer. Die Schulden stiegen. In Ländern, in denen der staatliche Schuldenberg zuvor bereits sehr hoch war, spitzte sich die Lage dramatisch zu. 2010 zum Beispiel galt Griechenland so gut wie bankrott. (...) Aber in Sachen Zinsen hat sich durchaus etwas verändert, nur leider nicht zum Guten: Nullzinsen wurden abgelöst von Negativzinsen. Erst waren es -0,4, mittlerweile liegen wir bei -0,5 Prozent.
Ab welchem Betrag berechnen die Banken Verwahrgebühren?
Neumeier: Das ist von Bank zu Bank verschieden, bei gewerblichen Kunden verhält es sich anders als bei privaten. Manche Institute gewähren aktuell noch Freibeträge in Höhe von 100 000 Euro, in der Tendenz jedoch fallend.
Die Preise von Immobilien und Grundstücken steigen rapide an. Auch das ist eine Folge der Null- beziehungsweise Negativzinspolitik.
Neumeier: Der konservative Sparer legte früher sein Geld in Sparbücher oder -briefe an und bezog daraus eine sichere Rendite. Einen kleinen Anteil des Kapitals steckte man vielleicht in Aktien, um ein bisschen zu spekulieren. Nachdem diese traditionellen Anlagemöglichkeiten keinen Sinn mehr ergeben, weichen viele auf den Erwerb von Immobilien aus.
Entsprechend leergeräumt ist der Immobilienmarkt.
Neumeier: Stimmt, es ist nicht einfach, etwas Passendes zu finden. Zudem sind die Immobilienpreise in den letzten Jahren extrem nach oben geschossen.
Auch die Baukosten explodieren. Trotzdem wird ein Haus nach dem anderen gebaut. Erinnert dieser Trend nicht auch an die Situation in den USA, als jeder von der Bank einen supergünstigen Kredit erhielt, obwohl vorhersehbar war, dass er das Geld nicht zurückzahlen wird können?
Neumeier: Nein, da gibt es schon große Unterschiede. Bei Kreditgewährungen legen die Banken in der Regel strenge Maßstäbe an. Jedoch steigen die Laufzeiten der Finanzierungen immer mehr an. Hatte man früher bereits nach zehn Jahren seinen Hauskredit getilgt, dauert es heutzutage oft mehr als 20 Jahre, bis seine eigengenutzte Immobilie vollständig abbezahlt ist.
Sorgen bereitet vielen auch die hohe Inflation.
Neumeier: Mein Eindruck ist eher, dass wir uns längst an eine stete Preissteigerung gewöhnt haben. Früher hat die Pizza fünf Euro gekostet, jetzt das doppelte. Ebenso das Auto und viele andere Dinge. Eine gewisse Teuerungsrate ist normal und, solange sie im Rahmen bleibt, aus meiner Sicht auch unbedenklich.
Wenn Geld auf dem Konto nichts mehr „bringt“, bedeutet das dann nicht im Umkehrschluss, dass es weniger wert ist?
Neumeier: Nein, man muss sich nur mehr Gedanken machen, wie man es richtig anlegt. Das klingt oft kompliziert, ist aber alles kein Hexenwerk. Nur: Sich mit der richtigen Geldanlage zu beschäftigen, das macht den meisten genauso wenig Spaß wie eine Steuererklärung zu machen.
Geld als Spaßbremse?
Neumeier: Geld zu haben ist Luxus. Es macht definitiv weniger Spaß, keines zu haben.
Was würde Dagobert Duck heute mit seinem Vermögen tun?
Neumeier: Vermutlich in ein Start-up-Unternehmen investieren. Wahrscheinlich würde er bei einer Sendung wie „Die Höhle der Löwen“ sitzen und den Daumen heben bei einer vielversprechenden Geschäftsidee.
Interview: Doris Zitzelsberger